Einführung zur Erstaufführung "Die Marquise von O"

Knut Boeser: Die Marquise von O. - Eine Einführung

Liest man als erstes Wikipedia, erfährt man, was gemeinhin über die Marquise von O gedacht wird. Da kann man lesen, "dass Kleist in seiner Novelle eine Gesellschaft darstellt, in der die bürgerlichen Ideale wieder tatsächlich praktiziert werden, in der die familiäre Liebe wieder wichtiger wird als das bloße gesellschaftliche Ansehen und in der Schutz vor den Gefahren der Welt geboten wird." So oder so ähnlich kann man das immer wieder in der Kleistliteratur lesen.

Und wie sieht Kleist das selber? In einem seiner späten Epigramme gibt es einen launigen Zweizeiler. Da steht unter der Überschrift DIE MARQUISE VON O: "Dieser Roman ist nicht für dich, meine Tochter. In Ohnmacht: schamlose Posse! Sie hielt, weiß ich, die Augen bloß zu." Kleist, der eine so wilde, abgründige, laszive Frau wie Kunigunde von Thurneck im Käthchen erfunden hat, wußte über Erotik und Sexualität sehr genau bescheid. Als der Vater sich mit der Marquise versöhnt, da beschreibt Kleist eine leidenschaftlioche Liebesszene, die weit über eine konventionelle Szene vom Familkiebnglück, selbst in der tränenseligen Epoche des Sturm und Drang, hinausgeht. Das ist eine Szene, die pikanterweise auch noch von der Mutter durch das Schlüsselloch beobachtet wird. Die Mutter hört leises Gelispel und sieht die Marquise auf dem Schoß des Vaters "still mit zurückgebeugtem Nacken", so schreibt Kleist," die Augen fest geschlossen, in des Vaters Armen liegen indessen dieser, auf dem Lehnstuhl sitzend, lange, heiße und lechzende Küsse, das große Auge voll glänzender Träönen, auf ihren Mund drückte: gerade wsie ein Verlioebter. Die Tochter sprach nicht, er sprach nicht ; mit über sie gebeugtem Antlitz saß er, wie über das Mädchen seiner ersten Liebe, und legte ihr den Mund zurecht, und küßte sie." So sieht er also aus, der Ort der zitierten bürgerlichen Innerlichkeit, der Schutz vor den Gefahren der Welt birgt.

Vielleicht sollte man die Marquise von O von dem wunderbaqren Heinrich von Kleist doch noch einmnal etwas genauer lesen?....