David James erinnert sich:
Wie alles begann
Sankt Gerold ist ein Benediktinerkloster, das hoch oben in den österreichischen Alpen liegt, nahe der Grenze zur Schweiz und an einem Ort, wo bereits vor über tausend
Jahren eine Kirche stand.
Es ist jetzt 21 Jahre her, dass sich das Hilliard Ensemble dort zum musikalischen Blind Date
mit dem Saxophonisten Jan Garbarek traf – ein künstlerisches Experiment, dessen Spiritus Rector unser Produzent Manfred Eicher von ECM Records war.
Am Anfang standen Beklommenheit, nervöses Warten und die Frage:Wie anfangen?
Doch dann beschlossen wir, einfach das zu tun, was wir immer tun: Singen.
Wir begannen mit einer langsamen, homophonen Begräbnismotette des spanischen
Komponisten Cristobel Morales und gingen davon aus, dass Jan zuhören und irgendwie darauf reagieren würde.
Gegen Ende des Stücks spürte ich plötzlich ein tiefes, alles in Schwingung versetzendes Vibrieren, wie auf einer Fähre auf See, das rasch überging in ein Feuerwerk ineinander verwobener, ätherischer Klänge.
Jan hatte zum Saxophon gegriffen und spielte eine fünfte Stimme dazu – für mich der zauberhafteste musikalische Moment in meiner vierzigjährigen Geschichte mit dem Hilliard Ensemble.
Dieser Tag markierte den Beginn einer intensiven und dauerhaften Beziehung.
Als das Stück zu Ende war, herrschte absolute Stille in der Kapelle, niemand rührte sich. Dann sprang Eicher von seinem Stuhl und rief: „Das müssen wir aufnehmen!“
Zwei Monate später kamen wir wieder zusammen, um Officium einzuspielen, von dem über eine Million Exemplare verkauft wurden und das uns zwei Jahrzehnte lang die Türen zu herrlichen Veranstaltungsorten in aller Welt geöffnet hat.
Der immer noch anhaltende Erfolg dieses Albums, dem zwei weitere folgten, macht deutlich, welchen Weitblick ECM damals zeigte.
Ende 2014 wird unsere sagenhafte Partnerschaft enden, weil das Hilliard Ensemble in den
Ruhestand geht. Doch noch ist Officium sehr lebendig, und wir reisen den größten Teil des
Jahres kreuz und quer durch Europa, um in wunderbaren Kirchen und Klöstern aufzutreten.
Was mich bis heute verblüfft ist, dass Jan sich noch nie die Noten zu irgendeinem unserer
Stücke angeschaut hat. Er will nur wissen, in welcher Tonart etwas steht; er hört uns zu, und
wenn er sich in die Musik hineinfinden kann, spielt er mit.
Seine Improvisationskunst hat auch uns zu mehr Freiheit verholfen: Seit wir mit ihm arbeiten, stehen wir nicht mehr die ganze Zeit an unseren Notenständern, sondern wandern häufig ohne Partitur durch die Kirchen und Kathedralen, so wie er es tut.
David James, The Guardian (März 2014)
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WohinTippHQ 2 hours ago