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Unsere gegenwärtige gesellschaftliche und ökonomische Situation wird immer öfter mit der der Zwischenkriegszeit verglichen. Eine Epoche der Krisen, der Umbrüche, der Utopien und: des Theaters. Im Roten Wien der 1920er Jahre entpuppte sich die aus Budapest importierte Form der Doppelconférence als Publikumsmagnet. In rascher Rede und Gegenrede wurde Tagespolitisches und Triviales, Alltags- und Weltgeschehen abgehandelt, dabei stets mit einer klaren Rollenverteilung, der noch eine komödiantische Weltkarriere bevorstand: immer war einer der G´scheite, der andere immer der Blöde, wahlweise ergänzt durch den Frotzler. Neben diversen anderen Programmpunkten wie Klavierimprovisation, Schnellzeichnen und Operettenschlagern waren diese Doppelconférencen in die Revuen des Kabarett Simpl eingebettet. Zeitgleich arbeitete der Theatervisionär Erwin Piscator in Berlin an seiner Version der politischen Revue und entwickelte hierfür ein multimediales und technisches Hochleistungsspektakel, das die deutsche Theaterlandschaft nachhaltig prägte. Selbstbewusst versuchte er sein bürgerliches Publikum nach dem Motto »Trommelfeuer gegen die Passivität der Zuschauer« für sozialistische Utopien empfänglich zu machen. Zugleich verschaffte er der Berliner Arbeiterschaft Zugang zum bürgerlichen Bildungsgut, getreu dem Geiste der »Volksbühne «. Das Theater verstand sich damals als Keimzelle des sozialen Fortschritts.
In Anbetracht der Verfassung unseres jetzigen kapitalistischen Systems stellt sich abermals die Frage, wie es weitergehen soll mit uns, gesellschaftlich und mit unserer Art zu wirtschaften. Im Fokus des Diskurses standen in letzter Zeit vor allem die alternativen Konzepte »Sharing Economy« und »Bedingungsloses Grundeinkommen«.
Wobei »Sharing Economy« schon vom Markt einverleibt wurde, bevor das Wort überhaupt im Denken der breiten Masse angekommen war. Selbst private Hilfe wie eine Übernachtung oder eine Mitfahrgelegenheit werden da sofort zum Geschäftsmodell. Das Projekt des »Bedingungslosen Grundeinkommens« hingegen musste nach einem erfolglosen Urnengang in der Schweiz einen Dämpfer hinnehmen und nun ist abzuwarten, wie sich die Versuche in Finnland entwickeln. Doch zumindest haben beide Modelle eines bewirkt: Der Kapitalismus in seiner jetzigen Form scheint nicht mehr alternativlos. Und dass die nächste große Systemkrise der Weltwirtschaft bevorsteht, bezweifeln nur Wenige.
Es lohnt sich also, über neuartige Gesellschaftsideen nachzudenken und so wendet sich die Berliner Performancegruppe FUX in ihrer ersten Arbeit in Österreich einem der jüngsten und radikalsten Konzepte zu: der geldlosen Wirtschaft. Natürlich gab es schon immer geldfreie, bedürfnisorientierte Beziehungen, angefangen bei der Muttermilch. Hinzu kommt in jüngster Zeit allerdings, dass vermehrt Produktions- und Dienstleistungsmodelle auftauchten, die bewusst auf das Prinzip von Leistung und Gegenleistung verzichten. Zu nennen wären hier Phänomene wie freie Softwareentwicklung, Open Source Projekte von Firefox bis Wikipedia oder die rasant wachsende Bedeutung des Freiwilligensektors. Gestützt auf die Möglichkeit immer differenzierterer digitaler Datenerfassung, ließen sich neue komplexe Wertspeichersysteme entwickeln, die ein modernes Leben unter ganz anderen Vorzeichen denkbar machen könnten...
FUX konfrontiert diese Utopie mit der halb vergessenen Theaterform der Revue und die bürgerliche Show mit dem proletarischen Spektakel. Eine Doppelconférence zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen gesellschaftlicher U- und Dystopie und zwischen den alten Theatermetropolen Wien und Berlin.
Falk Rößler und Nele Stuhler bilden seit 2011 gemeinsam mit Stephan Dorn die Gruppe FUX, die in ihrer Arbeit unter Zuhilfenahme bereits bestehender Bühnenformate nach neuen theatralen Formen sucht. Für ihre ersten Arbeiten in Gießen und an den Münchner Kammerspielen wurden FUX 2014 von Theater heute als beste Nachwuchskünstler nominiert. In ihren Beobachtungen zweiter Ordnung entstehen performative Räume von großer Spiel- und Experimentierfreude. Dabei verweben sie Elemente aus Performance, Musik, Sprechtheater, Kleinkunst und Choreographie zu ebenso komplexen wie unterhaltsamen Theaterbastarden.
Falk Rößler (*1983) absolvierte ein Studium der Europäischen Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und realisierte zeitgleich erste Regiearbeiten in Deutschland und Norwegen. Anschließend studierte er Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Darüber hinaus arbeitet er auch in anderen Zusammenhängen als Komponist, Regisseur, Performer und Publizist.
Nele Stuhler (*1989) studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Regie in Zürich und nahm von 2014- 2016 am Lehrgang »Forum Text« von uniT Graz teil. Ausserdem ist sie Gründungsmitglied der Gruppe »Leien des Alltags«, deren Arbeiten u. a. beim Körber-Studio Junge Regie 2015 und beim Fast Forward Festival Braunschweig zu sehen waren. 2016 wurde sie mit dem Zuschauerpreis sowie dem 2. Platz der Jury beim Förderpreis für Junge Dramatik der Stadt München ausgezeichnet.
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Kommentare
WohinTippHQ 59 mins ago