Ein zentrales Motiv des postfaktischen Zeitalters ist die Krankheit. Beschworen wird eine kranke Gesellschaft, bedroht vom Krebsgeschwür der Überfremdung, geschwächt von einer pathologischen Lügenpresse und gelähmt von einer zahnlosen, anämischen Bürokratie. Und während die Werte der nationalen Identität dahinsiechen, steuert das emanzipatorische Projekt Europa geradewegs in den Untergang.
In seinem 1924 geschriebenen Roman "Der Zauberberg" zeichnet Thomas Mann das Bild eines Europas, das in dicke Decken gehüllt die Katastrophe des Ersten Weltkrieges erwartet. Im Sanatorium Berghof, abgeschieden in den Schweizer Alpen gelegen, scheint sich die Zeit in eine absolute Gegenwart aufzulösen. An jenem wagnerianisch-dionysisch pulsierenden Ort ringen der Humanist Settembrini und der Terrorist Naphta um Einfluss auf den dort gestrandeten, braven, jungen Hamburger Kaufmannssohn Hans Castorp. An diesem Parzival des deutschen Bürgertums soll sich stellvertretend entscheiden, ob sich Europa doch noch einmal am eigenen Schopf aus seinem eschatologischen Sumpf ziehen kann, oder ob es den radikalen Ideologen verfällt.
Manns Roman wirkt wie ein Psychogramm des Europas unserer Gegenwart, in dem die gesellschaftliche Solidarität bröckelt und sich das Individuum zunehmend in sich selbst zurückzieht, um mit der Bearbeitung subjektiver Krankheitssymptome auf eine unübersichtliche und unverständliche Weltlage zu reagieren. Die radikale Selbstliebe tritt heute an die Stelle des Gesellschaftsvertrages, der narzisstisch gestörte Autokrat als Staatenlenker kommt wieder in Mode und soziale Probleme werden als individuelles Versagen deklariert. Während die Welt in Flammen steht, beschäftigt man sich mit gesundem Essen, Stressvermeidungsstrategien und Selbstverwirklichung. Und genau wie Hans Castorps Skeptizismus gegenüber dem Hokuspokus der Therapien ausgedachter Leiden schwindet und er langsam im Strudel der Irrationalität versinkt, so ergeben auch wir uns den Annehmlichkeiten einer postfaktischen Weltsicht und wechseln Smoothies trinkend in die nächste Yoga-Position.
Der Regisseur Alexander Eisenach hat sich neben seiner Regietätigkeit auch einen Namen als Autor gemacht. Er wird, inspiriert von Thomas Manns Roman, eine eigene Fassung dieses Werks der Weltliteratur erstellen.
Regie: Alexander Eisenach
Bühne: Daniel Wollenzin
Kostüme: Claudia Irro
Möchten Sie sich für unseren wöchentlichen Newsletter mit Veranstaltungstipps in Ihrer Umgebung, Gewinnspielen u.v.m. anmelden?
Nein danke, ich bin bereits Wohintipp-Mitglied (oder möchte nicht beitreten)
E-Mail Adresse eingeben, Anmelde-Button drücken und los geht’s
Bitte akzeptieren Sie erst unsere Nutzungsbedingungen.
Wollen Sie einen Kommentar hinterlassen?
Registrieren Sie sich (gratis!) bei Wohintipp.at oder loggen Sie sich ein
Kommentare
WohinTippHQ 14 mins ago