anschließend Gespräch mit Regisseur Christian Frosch, Darsteller Alexander E. Fennon und Tanja Golden
AT 2018, 120 Min
Regie und Buch: Christian Frosch
Graz 1963. Wegen Kriegsverbrechen steht der angesehene Lokalpolitiker und Großbauer Franz Murer, 1941-43 für das Ghetto von Vilnius verantwortlich, vor Gericht. Überlebende des Massenmordes reisen an, um auszusagen und Gerechtigkeit zu erwirken. Basierend auf den originalen Gerichtsprotokollen wird von einem der größten Justizskandale der Zweiten Republik erzählt - und von politischer Strategie jenseits moralischer Werte.
CHRISTIAN FROSCH IM INTERVIEW
mit Lisz Hirn über MURER – Anatomie eines Prozesses
Warum hast Du einen Film über den NS-Täter Franz Murer gemacht?
Ich bin zufällig auf dieses Thema aufmerksam geworden während eines Aufenthalts in Vilnius. Dort bin ich ins Jüdische Museum gegangen und habe eine Tafel über den "Schlächter von Vilnius" gesehen. Wie kann es sein, dass ich als Österreicher noch nichts von diesem prominenten Kriegsverbrecher gehört habe? Ich habe weiterrecherchiert, zuerst ohne den Plan, einen Film über ihn zumachen.
Wie hat dich die Produktion dieses Films verändert?
Sich intensiv mit Geschichte zu befassen, hat etwas Positives: Gewisse Dinge verstehe ich jetzt anders, ja besser, nämlich aus den historischen Wurzeln heraus. MURER ist kein historisierender, sondern ein politischer Film, bei dem es darum ging, das brisante Material so authentisch wie möglich "zum Sprechen" zu bringen.
Ist der Murer-Prozess ein Beispiel für den Umgang der österreichischen Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit?
Mir ist klar geworden, dass ein Ereignis noch keine Geschichte schafft, sondern erst die Erzählung davon. Nur was erzählt wird, existiert weiter. Ein Geschehen, das nicht erzählt wird, ist, als ob es nie stattgefunden hätte. Wer erzählt und welche Geschichten erzählt werden, ist enorm wichtig. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen Erzähltem in den Familien und den Geschichtsbüchern. Ich glaube, die Nachkriegszeit ist hierzulande ein blinder Fleck und dass in dieser Zeit die Weichen dafür gestellt wurden, womit wir es heute in politischer Hinsicht zu tun haben.
Also eine Weichenstellung für aktuelle politische Phänomene?
Man kann z. B. die Affäre Waldheim nur verstehen, wenn man sich den Murer-Prozess anschaut, der symbolhaft für den österreichischen Umgang mit seiner Geschichte steht. Man braucht sich nur anzusehen, wie wenig Schuldbewusstsein geherrscht hat. Ich hätte mir vor fünf Jahren nicht gedacht, dass wir in so kurzer Zeit wieder eine Diskussion über "Liederbücher" führen müssen, die zur Fortsetzung der Shoah aufrufen. In der Regel ist man als Filmemacher sehr froh, wenn sein Film von besonderer Aktualität ist. Diese Form der Aktualität habe ich mir wirklich nicht gewünscht.
Welche Erkenntnis wünschst Du den ZuseherInnen?
Die Erkenntnis, dass Justiz nicht immer Gerechtigkeit bedeutet. Täter können sich zu Opfern ernennen und Opfer zu Tätern gemacht werden. Viele Opfer wurden in der Nachkriegszeit kaum oder gar nicht gewürdigt.
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WohinTippHQ 2 hours ago