JENS FRIEBE hat es wieder getan! Er hat sich schon wieder einen unschlagbaren Album-
Titel ausgedacht. Nach dem famosen „Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts
passiert“ und dem nicht weniger fantastischen „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“
folgt nun knapp und zeitlos präzise: „Fuck Penetration!“ Wie der Titel andeutet, ist JENS
FRIEBEs sechstes Album sein britischstes geworden. Mehr als die Hälfte seiner Texte sind
in englischer Sprache verfasst. Im Zeitalter von Regionalwahn, Deutschpop und Brexit
sicher eine gute Idee, wieder verstärkt in der Muttersprache des Pop zu singen. Auf dem
kongenialen Cover – gestaltet von Stefan Papst von der Gruppe Ja, Panik – sehen wir eine
Kupferstichcollage mit dem Motiv der Moskauer Universität. Im Hof eine penible
Gartenanlage, eine imperiale Schiffsflotte und up in the sky: ein imposantes Feuerwerk.
Beinahe erotisch. Ja, zu was der Mensch nicht alles in der Lage ist, wenn er die Energie
seiner niedersten Triebe in etwas Sinnvolles steckt. In die Kunst zum Beispiel.
JENS FRIEBE gilt ja vor allem als dieses wortwitzige Mysterium, das zwischen Pop- und EMusik,
den großen und den kleinen Gesten und den Club- und Theaterbühnen so gekonnt
changiert wie zwischen den Geschlechterrollen. Allerdings darf das nicht verwechselt
werden mit einer pseudopostmodernen Haltungsverweigerung. FRIEBE ist kein Nihilist,
sondern ein Humanist, der durchaus an die Power der Diva glaubt. Sie oder er hält den
Laden schließlich am Laufen! „Fuck Penetration“ will was!! Das wird, vom titelgebenden
fröhlichen Aufschrei gegen Phallokratie und Phantasielosigkeit abgesehen, wohl am
deutlichsten beim Song „Charity/Therapy“, in dem eine so naive wie tiefe Frage gestellt
wird: Was wäre, wenn „das seltsame Wesen“, das der Mensch ist, sein Wissen für sein
Glück einsetzen würde, statt zur Vernichtung der Konkurrenz und der Welt?
Die Antwort ist der Refrain: „We wouldn’t need Charity / And we wouldn’t need therapy“.
Was in den Song-Strophen noch in eine surreale Bildwelt gehüllt ist, tritt im klimatischen
Mittelteil gleichzeitig lakonisch und kämpferisch zutage: „Es ist schön, den Armen was
abzugeben / Es ist schön, den Traurigen zuzuhören /Am Schönsten wär‘ was jedes Leben /
traurig und arm macht zu zerstören“. Aber auch ein Song wie „Worthless“, der die
scheinbar intimste Tragödie scheiternder Liebe betrauert, stellt überraschende
Verbindungen her zwischen der kleinen privaten Krise und der großen allgemeinen,
zwischen Tauschwert und Selbstwert, wenn es heißt: „When money is afraid of being
worthless, it becomes a house or a piece of art / When you are afraid of being worthless, you
tear out my heart...“
Dieses Album zeigt den Menschen in seiner ganzen merkwürdigen Gestalt: Zum Größten
und Schönsten bewundernswert fähig, aus bekannten wie unerklärlichen Gründen aber
immer irgendwie gekränkt und allzeit bereit, seine Mitmenschen zu demütigen. Eine
Herrschaft in ewiger Unzufriedenheit, mal in „hasserfülltem Glück“, mal gefangen im
Trugschluss: „Only because you‘are jealous, doesn‘t mean your in love“.
Aber so lange sich jeder, der sich wie ein stranger in dieser fremden Welt fühlt, abends in
einen „Special People Club“ gehen kann, um dort auf andere Fremde zu treffen, drehen wir
den Beat gerne lauter. Der Songtitel spielt auf den Film „Welcome to the Dollhouse“ von
Todd Solondz an, in dem die nerdige Außenseiterin Dawn Wiener einen solchen „Special
People Club“ gründet, bloß um im Laufe des Films festzustellen, dass „Special People“ eine
Umschreibung für behinderte Menschen ist.
Von komischen, unfreiwilligen Verwechslungen zum langweiligsten Gender-Objekt der Welt:
Dem weißen, heterosexuellen Mann. FRIEBE kuratierte 2015 im Berliner Theater HAU die
Veranstaltung „Männlich, weiß, heterosexuell“ und führte dort zum ersten Mal die Nummer
„Queer“ auf. Ein kurzer, knackiger Konstatier-Boogie für all jene männlichen, weißen,
heterosexuellen Geschlechtsgenossen, die als sture Alphatiere die kunterbunte Queerness
für sich entdeckt haben, ohne auch nur einen Millimeter von ihren alten Gewohnheiten
abzurücken: „Ich schau Fußball und trink Bier, ich schlaf nur mit Frauen – call me queer!“
Alles gleichzeitig zu sein – „und das Gegenteil davon“, das kriegen nicht mal die Härtesten
hin.
Umso diebischer die Freude, wenn FRIEBE dann zusammen mit seinem alten Wegbegleiter
Linus Volkmann – von dem auch ein Großteil des Songtextes stammt – im Lied „Es leben
die Drogen“ all die chemischen Stoffe besingt, die den Hormonhaushalt des Mannes
wirklich durcheinanderbringen. Eine Hymne auf das Kaputte und all die Risiken und
Nebenwirkungen, vor denen kein Werbespot jemals gewarnt hat.
In dem Bizarr-Schlager „Tränen eines Hundes“, den Joe Meek geliebt hätte, gibt JENS
FRIEBE sein Mikrophon an eine Kollegin ab: Es singt die berühmte Jodlerin (!) Doreen
Kutzke über den bevorstehenden Verlust eines Vanshing Twins, der ihr aus dem Kopf
entfernt werden soll. Spätestens seit Elvis Presley wissen wir von den berühmten „Twinless
Twins“ und dem „Vanishing Twin Syndrome“, einer psychischen Störung, bei Menschen,
die im Uterus einen Bruder oder eine Schwester verloren haben. Das Stück wurde
uraufgeführt in der bigNOTWENDIGKEIT-Theaterproduktion „Road Movie“, in einem
Autokino.
Insgesamt ist „Fuck Penetration“ eine bunte, wilde Revue geworden! Getragen von einem
schillernden Background-Chor (Pola Schulten von „Zucker“, Vera Kropf von Luise Pop und
Gwedolin Tägert von Mondo Fumatore), singt FRIEBE sich durch ein Programm, das für
seine Verhältnisse partyatmosphärisch nahe an den Siebzigern gebaut ist. Die Gala-hafte
Melancholie Scott Walkers hört man ebenso raus, wie Two Tone, Disco oder Glam-Rock:
Something/Anything goes.
Dass die Musik nicht in Retromanie erstirbt, sonder neu, eigen und aufregend klingt, liegt
vor allem an JENS FRIEBEs langjährigen Mitstreitern: dem Produzenten Berend Intelmann
und an Schlagzeuglegende und Avantgarde-Musiker Chris Imler, der im Oktober übrigens
sein zweites Album „Maschinen und Tiere“ veröffentlicht.
Spätestens wenn wir mit Captain FRIEBE und seiner Crew als Argonauten rausfahren aufs
endlose Meer oder in den Space (das Internet?), um ein goldenes Vlies zu suchen oder
irgendeiner anderen rettenden Idee hinterherjagen, wird klar: Niemand sonst in
Deutschland schafft es, aus dem Stoff einer griechischen Sage einen Popsong zu
erschaffen, der auch noch als zeitgemäße Gesellschaftskritik funktioniert: „Take me out,
Argonaut!“ Ja, bitte! Unbedingt: Nehmt uns mit!
Und wenn Chris Imler im Song „Herr der Ringe“ das Mikrophon übernimmt, nachdem
FRIEBE vorher das ganze Werk Tolkiens auseinandergenommen hat - und den Titel als
arabeskes Mantra vorträgt, wird auch dem letzten Zweifler klar: „Fuck Penetration“ ist das
Album, auf das wir alle gewartet haben: Straight oder queer!
Zum Schluss bleiben eigentlich nur zwei Fragen offen: „Is it enough, love?“ und „Is love
enough?“.- Maurice Summen (Staatsakt).
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WohinTippHQ 55 mins ago