Von Peter TurriniHeiligabend nach Ladenschluss, Kund*innen und Angestellte haben das Kaufhaus verlassen, geblieben sind die Putzfrau Maria und der Wachmann Josef. Als Aushilfskräfte bessern beide ihre bescheidene Rente auf. Zunächst zögerlich und ziemlich aneinander vorbei, dann aber immer ehrlicher und mutiger erzählen sich die beiden ihre unerfüllten Wünsche, gescheiterten Träume, geheimen Sehnsüchte, vertrauen einander ihre privaten und politischen Kümmernisse an. Komisches mischt sich mit Sentimentalem, Trauriges mit Hoffnungsvollem, Gegenwart mit Vergangenheit. Am Ende feiern Josef und Maria inmitten der Luxuswelt des Konsumtempels ein spontanes "Fest der Liebe" und schenken einander, was ihnen die Mitwelt versagt: Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Achtung.Soziolog*innen definieren heute ein viertes Lebensalter, das etwa mit dem Pensionsantritt beginnt und bis zum Beginn des sogenannten "hohen Greisenalters" mit Mitte 80 noch zwei schöne Jahrzehnte beschert. Auch die Wirtschaft sieht in den fitten "best agers" inzwischen ein kaufkräftiges Klientel, das auf Kreuzfahrten den Lebensabend genießt, lebenslanges Lernen praktiziert oder auf E-Bikes durch die Alpen brettert. Doch diese privilegierte Schicht ist so groß nicht. Trend- und Zukunftsforscher*innen prognostizieren nämlich zugleich, dass bereits 2030 ein Drittel der europäischen Bevölkerung unter Armut und schwerwiegender Einsamkeit leiden wird. Alte Menschen, von denen es immer mehr geben wird, sind besonders gefährdet.Peter Turrinis Stück wurde vor bald 40 Jahren in Wien uraufgeführt, vor 20 Jahren vom Autor überarbeitet, es ist in mehr als 20 Sprachen übersetzt und weltweit aufgeführt worden. "Josef und Maria" spielt am 24. Dezember 1991, also zu einem Zeitpunkt, als Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch des Ostblocks das "Ende der Geschichte" ausrief, das aus heutiger Sicht nicht eintrat. Inzwischen ist der Klassiker auch ein prophetischer Blick in eine verstörende Zukunft, in der immer mehr ältere Menschen prekär leben und einsamer sein werden – vor der Kulisse eines Kaufhauses, das wie nichts anderes die Perversion des kapitalistischen Konsumdiktats versinnbildlicht, unter dem unsere Welt derzeit ächzt. In der Inszenierung des Next Liberty-Intendanten Michael Schilhan spielen Margarethe Tiesel und Franz Solar.REGIEMichael SchilhanBÜHNE UND KOSTÜMEAnne Marie LegensteinDRAMATURGIEKarla MäderJennifer WeissJOSEF PRIBIL, 71 JAHRE, AUSHILFE BEI DER WACH- UND SCHLIEßGESELLSCHAFTFranz SolarMARIA PATZAK, 69 JAHRE, GELEGENHEITSPUTZFRAUMargarethe Tiesel
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Kommentare
WohinTippHQ 27 mins ago