Erdöl ist der Vater, ist die Mutter aller Dinge. Jeder Gedanke findet seinen Ursprung im Öl, alle Wissenschaft, jede Religion, jede Hoffnung, jede Verzweiflung, jedes Lied, jede Klage, jeder Frevel, jeder Sturm und jede Sage.
Erdöl setzt eine Moral. Erdöl ist gottgleich, so allgegenwärtig, dass wir es kaum in den Blick nehmen können, es ist unverfügbar. Seine Aporien sind teuflisch: Erdöl schenkt Leben. Durch den Kunstdünger, durch das Phosphorpentoxid und das Calciumoxid, durch die Medikamente, die pharmazeutischen Substanzen. Und es ist das Erdöl, das gleichzeitig dieses Leben vernichtet.
Wir stehen am Ende der Petromoderne, wie Alexander Klose und Benjamin Steininger unser Zeitalter genannt haben, die Ära, die mit der ersten kommerziellen Erschliessung der Ölquellen in Pennsylvanien, in Rumänien und in Aserbaidschan begann. Wir müssen von dieser Epoche und damit auch von ihren Segnungen Abschied nehmen. Das wird nur gelingen, wenn wir seine Kultur und damit seine Ethik in den Blick nehmen. Bis heute ist das nur in Ansätzen geschehen. Obwohl unsere Zivilisation ganz auf diesem Stoff beruht, wissen wir fast nichts über seine Bilder und Narrative.
"Das Petrol sträubt sich gegen die fünf Akte", schreibt Brecht schon in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. "die Katastrophen von heute verlaufen nicht geradlinig, sondern in der Form von Krisenzyklen, die Helden wechseln mit den einzelnen Phasen."
Es wird Zeit, dass wir beginnen, die Geschichte der Ölzeit zu schreiben, bevor sie zu Ende geht.
Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun (Schweiz), ist Dramatiker und Romancier, Essayist und Dramaturg. Seine Stücke werden weltweit gespielt, seine Romane sind in zwanzig Sprachen übersetzt. 2003 wurde er für "Die sexuellen Neurosen unserer Eltern" als bester Nachwuchsdramatiker ausgezeichnet und bekam 2005 den Mülheimer Dramatikerpreis für *Der Bus*. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. den Berliner Literaturpreis (2013), den Schweizer Buchpreis (für Koala, 2014), den Nicolas-Born-Preis (2015). Mit Hagard stand er 2017 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse. 2019 wurde Lukas Bärfuss mit dem Georg- Büchner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt wurden 2018 "Der Elefantengeist" am Nationaltheater Mannheim, 2020 "Julien - Rot und Schwarz" am Theater Basel und 2021 Luther bei den Nibelungenfestspielen Worms uraufgeführt. 2019 erschien Malinois. Erzählungen, 2021 der Essayband Die Krone der Schöpfung. Lukas Bärfuss ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und lebt in Zürich.
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WohinTippHQ 49 mins ago